Michel würde heute mit Sicherheit einen ADHS-Stempel bekommen: hyperaktiv und aufmerksamkeitsgestört, wahrscheinlich würde er auch Ritalin bekommen und dann gar keine Streiche mehr machen. - War Michels Mutter so blind und blauäugig, daß sie das nicht sah? Oder hatte sie vielleicht eine Fähigkeit, die wir uns erst wieder erwerben müssen: den liebevollen Blick des Herzens auf das Wesentliche ihres kleinen Michel?
„Michel aus Lönneberga hieß ein Junge, der in Lönneberga wohnte. Das war ein kleiner wilder und eigensinniger Junge, nicht etwa so brav wie du. Obwohl er nett aussah, das tat er wirklich. Wenn er nicht gerade schrie. Fünf Jahre war er alt und stark wie ein kleiner Ochse und er wohnte auf dem Hof Katthult in dem Dorf Lönneberga in Smaland, und das ist ein Teil von Schweden.
Er wollte über Mama und Papa bestimmen, über ganz Katthult und am liebsten noch über ganz Lönneberga, aber da machten die Leute von Lönneberga nicht mit. „Sie können einem leid tun, die Svenssons auf Katthult, die einen solchen Lausejungen zum Sohn haben!“ sagten sie. „Aus dem wird nie was.“ Das dachten die Lönneberger, ja! Wenn sie gewußt hätten, was noch aus Michel werden sollte, hätten sie nicht so geredet. Wenn sie gewußt hätten, daß er einmal Gemeinderatspräsident werden sollten, wenn er groß war!....
In Lönneberga, so erzählt Astrid Lindgren weiter, gab es nicht einen einzigen Menschen, der den schrecklichen kleinen Jungen nicht kannte. Denn Michel machte mehr Unfug, als das Jahr Tage hat, und er jagte den Lönnebergern solche Schrecken ein, daß sie Michel sogar nach Amerika schicken wollten. Die Leute aus Lönneberga glaubten, es würde in ihrem Dorf viel ruhiger werden, wenn Michel nicht mehr da wäre, und damit hatten sie wohl recht.
Darüber aber wurde Michels Mama so wütend, daß sie das Geld, das die Leute gesammelt hatten, um Michels Reise nach Amerika zu finanzieren, aus dem Fenster warf. „Michel ist ein netter kleiner Junge“, sagte sie. „Wir haben ihn lieb, so wie er ist!““
aus: Astrid Lindgren, Michel aus Lönneberga